Mittwoch, 2. März 2011
Lassie Down Under
Wer bei einem harmlosen irischen Naturgedicht an Sex denkt,
muss entweder gestört sein oder sich mitten im Dschungel der Pubertät befinden.
Skippy ist einer dieser Jugendlichen und mit ihm,
genauer gesagt seinem Ableben legt der Roman mit einem Paukenschlag los.

Daniel Juster, genant Skippy, fällt bei einem Doughnut Wettessen vom Stuhl, um wenige atemlose Seiten später unter den Augen seines fassungslosen und überforderten Zimmergenossen Ruprecht, tot auf dem Plastikboden von Ed's Doughnuthouse zu liegen.

Mit dieser furiosen Eröffnung ist der Pfad der kommenden Handlung vorgegeben, rückblickend erzählt der 35 jährige
Paul Murray in vielen, kurz gehaltenen Kapiteln, wie es zu Skip's Ableben kam.
Soviel sei verraten, an einem simplen süßen Stück Glasur ist der Junge nicht erstickt.

Mit diesem zukunftsgerichteten Blick fühlte ich mich wie ein Betrachter der Titanic, man hofft und bangt mit den Akteuren und weiß dennoch...
So erlebe ich Skip’s glücklichste Momente mit auchgrummeln, mit gedämpfter Empathie und Freude, wissend dass sein Ableben nur ein paar Doughnuts entfernt ist.

Der Roman spielt im Umfeld einer Jungen-Eliteschule im heutigen Irland. Skandale werden zum Wohl der Schule und aller Beteiligten (Lehrer, Schüler, Ehemaliger und Zukünfiger) unter den Teppich gekehrt, Bilder von überforderten, gescheiterten Lehrern und Eltern findet man zuhauf.
Vielleicht ist das eine kleine Schwäche, dass manches zu klischeehaft ist, manches direkt von den Akteuren ausgesprochen wird, anstatt es besser unausgesprochen zu lassen und auf die Vorstellung des Lesers zu vertrauen.
Man kann Skippy auch als Parabel für das neue Irland am Vorabend der Finanzkrise sehen, die gerade dort besonders heftig zugeschlagen hat.

Daneben gibt es Stellen, die mich laut herauslachen lassen, der fast perfekt geplante Besuch der Jungs in die benachbarte Mädchenschule, (heimlich und aus wissenschaftlichen Gründen, endend in einem Meer von getragener Mädchenwäsche),
philosophische Gespräche über das Universum und Glückskondome, Tipps zum Aufreißen von Mädchen im Zeitalter von Internet Pornoclips.
Die meisten der Jugendlichen sind laut, aber dennoch liebenswert, erinnern selbstredend an das eigene Heranwachsen, andere sind nur noch laut und drohen gänzlich ins Böse abzudriften.

Die fast 800 Seiten sind, in drei Bänden, im Sammelschuber erschienen, ein echter Hingucker.
Während die beiden ersten Bände (Hopeland, Heartland) Skip's Weg zu seinem Ableben schildern, beschreibt der abschließende Band der Trilogie (Ghostland) das Leben der Beteiligten, danach und ihre Trauerarbeit.
Es ist ein düsterer Ton in dem dieser Band erzählt wird, Trauerarbeit heißt erinnern, aufarbeiten, Dinge ans Tageslicht holen und anderes was nicht geholt werden will, auch an die Oberfläche zu zerren, es kann auch die Arbeit und Mühen beschreiben, was es bedeutet, erneut zu verstecken, zu verdrängen und zu vergessen.

Ruprecht, der dicke, gehänselte Freak, mit Hang zu grenzwertigen Physikexperimenten, ist auf der Suche nach weiteren Dimensionen.
Hier handelt es sich um etwas wie Paralleljuniversen, die obwohl sie nur Millimeter von unserer vertrauten Welt entfernt sind, für heutige Menschen unsichtbar und unerreichbar sind.
Für kommende Generationen mag es unverständlich sein, warum wir diese kleine Barriere nicht einfach überspringen konnten, warum unsere Energie nicht ausreicht in die Bereiche aufzubrechen, die sich so nahe bei uns befinden.
Wie es auch für die jugendlichen Akteure schwierig und schmerzhaft ist, den Schritt in eine andere Dimension zu wagen, zu mehr Menschlichkeit, Vertrauen und Offenheit.

Vielleicht liegt das Gelingen in den Händen der unvollkommenen Jugendlichen, die noch werden können,
was sie werden möchten, im Gegensatz zu den Erwachsenen, die bereits geworden sind, was sie nicht werden wollten.

Leseprobe

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